Typische Rollen
Häufige Anteile deines inneren Teams
Wenn wir uns einmal darauf einlassen, unser Inneres Team genauer zu betrachten, wird schnell deutlich: Die Mitglieder dieses Teams sind ebenso vielfältig wie wir selbst. Je nach Situation treten unterschiedliche Stimmen in den Vordergrund, und sie alle verkörpern bestimmte Haltungen, Bedürfnisse oder Schutzstrategien.
Vielleicht hast du beim Lesen der bisherigen Abschnitte schon begonnen, einzelne Stimmen in dir wiederzuerkennen oder zumindest zu erahnen, dass es sie gibt. Und tatsächlich lassen sich einige innere Teammitglieder besonders häufig beobachten. Nicht, weil wir alle gleich sind, sondern weil bestimmte Muster und Rollen menschlich universell erscheinen.
Da ist zum Beispiel der innere Antreiber, der dich mit Nachdruck zur Leistung motiviert. Er drängt dich, effizient zu sein, keine Zeit zu verschwenden, Ziele konsequent zu verfolgen. Oft ist er überaus hilfreich – etwa, wenn es darum geht, Projekte erfolgreich abzuschließen oder Herausforderungen anzupacken. Doch wenn er das Steuer zu lange allein in der Hand hält, kann er dich auch erschöpfen oder in einen ständigen Selbstoptimierungsmodus zwingen.
Ganz in seinem Schatten steht häufig der Zweifler. Er meldet sich besonders dann zu Wort, wenn eine Entscheidung ansteht. Er hinterfragt, mahnt zur Vorsicht, weist auf mögliche Risiken hin. Auch er erfüllt eine wichtige Funktion: Er schützt dich davor, unüberlegt zu handeln oder dich zu überschätzen. Doch auch der Zweifler kann lähmen, vor allem, wenn er zu dominant wird und andere Stimmen übertönt.
Dann gibt es da noch den Mutmacher, der mit leiser, aber kraftvoller Stimme daran erinnert, was möglich ist. Er stärkt dein Selbstvertrauen, erinnert dich an deine Fähigkeiten und ermutigt dich, Neues zu wagen. Ohne ihn würdest du dich vielleicht niemals aus der Komfortzone herausbewegen, doch er braucht gelegentlich die Unterstützung anderer Teammitglieder, damit seine Energie nicht in Leichtsinn kippt.
Oft mischt sich auch ein innerer Kritiker ein, und zwar nicht zu knapp. Er beobachtet genau, bewertet, urteilt. Seine Absicht ist meist eine gute: Er möchte dich zur Selbstreflexion anregen, dich vor Fehlern bewahren oder dich an deinen Werten messen. Doch wenn er zu harsch urteilt, kann er sehr verletzend sein und andere Teammitglieder zum Schweigen bringen.
Nicht selten sitzt auch ein besonders empfindsamer Teil mit am Tisch: das verletzte Kind. Dieser Anteil trägt alte Wunden, erinnert an Erfahrungen von Zurückweisung, Überforderung oder Enttäuschung. Wenn dieser Teil sich meldet, geschieht das oft in Form von intensiven Gefühlen – Angst, Rückzug, Scham oder das Bedürfnis nach Schutz. Ihn ernst zu nehmen, ohne ihn die ganze Kommunikation bestimmen zu lassen, ist eine echte Führungsaufgabe im Inneren Team.
Und schließlich finden sich in vielen inneren Teams auch kreative, hoffnungsvolle Anteile – etwa der Visionär, der groß denkt, Ideen spinnt, dich inspiriert, über dich selbst hinauszuwachsen. Oder die Fürsorgliche, die sich um dein Gleichgewicht sorgt, auf Pausen pocht, Nähe sucht, Grenzen setzt.
Was all diese inneren Stimmen verbindet: Sie wollen auf ihre Weise etwas Gutes für dich. Selbst wenn sie sich mitunter widersprechen oder in den falschen Momenten zu laut werden, haben sie ursprünglich hilfreiche Absichten.
Und noch etwas ist wichtig: Kein Inneres Team gleicht dem anderen. Jeder Mensch trägt eine ganz eigene innere Besetzung in sich – abhängig von seiner Biografie, seinen Prägungen, den Rollen, die er im Leben gelernt hat. Manche Anteile begleiten uns ein Leben lang, andere treten nur in bestimmten Lebensphasen auf, verändern sich, entwickeln sich weiter.
Dein Inneres Team ist lebendig. Es wächst mit dir und du kannst lernen, bewusst mit ihm zu arbeiten.
Wie sie entstanden sind und was sie wollen
Wenn wir beginnen, unser Inneres Team nicht nur wahrzunehmen, sondern auch wirklich kennenzulernen, stellt sich unweigerlich die nächste Frage: Woher kommen all diese Stimmen eigentlich? Warum spricht da ein innerer Kritiker so laut, während der Mutmacher manchmal kaum zu hören ist?
Friedemann Schulz von Thun macht deutlich, dass sich unsere inneren Teammitglieder nicht zufällig gebildet haben. Sie sind das Ergebnis unserer ganz persönlichen Geschichte. Jeder einzelne Anteil ist im Laufe unseres Lebens aus bestimmten Erfahrungen, Herausforderungen oder Prägungen heraus entstanden. Oft mit der ehrlichen Absicht, uns zu schützen, zu unterstützen oder in einer bestimmten Lebenssituation handlungsfähig zu machen.
Vielleicht hat sich dein innerer Kritiker schon früh entwickelt, weil du in einem Umfeld aufgewachsen bist, in dem Leistung, Disziplin oder Perfektion besonders wichtig waren. Er hat dir geholfen, dich selbst zu überprüfen, Fehler zu vermeiden und hohe Ansprüche zu erfüllen. Alles Fähigkeiten, die dir möglicherweise viele Türen geöffnet haben. Oder dein Antreiber war in einer fordernden Lebensphase besonders nützlich: etwa während deines Studiums, in einem verantwortungsvollen Job oder in einer Zeit, in der du „funktionieren“ musstest. Er hat dir die Kraft gegeben, durchzuhalten, Ziele zu verfolgen, dich nicht ablenken zu lassen.
Auch andere Stimmen haben vielleicht ihren Ursprung in frühen Erfahrungen: Ein innerer Zweifler könnte entstanden sein, wenn deine Entscheidungen häufig hinterfragt wurden und du gelernt hast, dich lieber selbst zu hinterfragen, bevor es andere tun. Der fürsorgliche Anteil wiederum meldet sich vielleicht besonders stark, wenn du in deinem Leben Verantwortung für andere übernehmen musstest und heute das Bedürfnis nach Ausgleich und Selbstfürsorge vertritt. All diese Anteile haben also eine Geschichte. Und sie haben eine Funktion. Sie sind mit dir gewachsen, manche vielleicht sogar über sich hinaus.
Doch genau hier liegt auch die Herausforderung: Was uns einmal geschützt oder getragen hat, kann uns heute auch begrenzen. Der Kritiker, der dich einst vor Fehlern bewahrt hat, kann zur inneren Stimme werden, die dich ständig infrage stellt. Der Antreiber, der dir einst geholfen hat, Großes zu leisten, kann dich heute daran hindern, innezuhalten und durchzuatmen.
Deshalb ist es so wertvoll, innezuhalten und diesen inneren Stimmen mit neugieriger Offenheit zu begegnen. Wenn du sie bewusst wahrnimmst, verstehst, woher sie kommen und was sie eigentlich wollen, kannst du eine neue innere Beziehung zu ihnen aufbauen. Du musst sie nicht bekämpfen – im Gegenteil: Du darfst sie würdigen für das, was sie geleistet haben. Und dann prüfen, ob sie heute noch dieselbe Rolle brauchen oder ob du sie vielleicht liebevoll in eine neue, angemessenere Position setzen möchtest.
So wird aus innerem Automatismus bewusste Selbstführung. Und aus alten Mustern entstehen neue Möglichkeiten.