"Growth Mindset"
Die Einstellung, die den Wandel einlädt
Neben der emotionalen Bedeutung, der Aufmerksamkeit und der Vielfalt an Lernwegen spielt auch unsere innere Haltung gegenüber Lernen und persönlicher Entwicklung eine zentrale Rolle für die Wirksamkeit von Neuroplastizität. Eine besonders einflussreiche Perspektive in diesem Zusammenhang ist das sogenannte Growth Mindset – ein Konzept, das auf die psychologische Forschung der Stanford-Professorin Carol Dweck zurückgeht. Es beschreibt die grundlegende Überzeugung, dass unsere Fähigkeiten, unsere Intelligenz und unsere Talente nicht festgelegt sind, sondern sich weiterentwickeln können. Diese Sichtweise steht im direkten Gegensatz zu der Annahme, dass Begabungen angeboren und unveränderlich seien – dem sogenannten Fixed Mindset.
Ein Growth Mindset geht mit einer offenen, lernfreudigen Haltung durchs Leben: Menschen mit dieser Überzeugung sehen Herausforderungen nicht als Bedrohung, sondern als eine Chance, über sich hinauszuwachsen. Rückschläge empfinden sie nicht als Beweis persönlicher Unzulänglichkeit, sondern als vorübergehende Hürden auf dem Weg des Lernens. Besonders spannend ist der Blick auf Fehler: Statt sie als Scheitern zu deuten, betrachten Menschen mit einem Growth Mindset sie als wertvolle Hinweise darauf, welche Fähigkeiten sie noch stärken oder welche Strategien sie vielleicht anpassen könnten.
Diese Art, mit sich selbst umzugehen, hat einen direkten Einfluss auf das Verhalten im Lernprozess. Wer ein Growth Mindset verinnerlicht hat, zeigt mehr Ausdauer, wenn es schwierig wird. Man ist eher bereit, Zeit und Energie zu investieren, um ein komplexes Problem zu durchdringen, und bleibt neugierig auf alternative Lösungswege, wenn der erste Versuch nicht klappt. Diese Offenheit und der Mut zur Auseinandersetzung mit Herausforderungen sind ein entscheidender Faktor für die Neuroplastizität des Gehirns – also dafür, wie sich unser Gehirn durch Erfahrungen, Wiederholungen und neue Anforderungen strukturell und funktionell verändert.
Aus neurobiologischer Sicht führt die Haltung eines Growth Mindsets dazu, dass das Gehirn beim Lernen besonders aktiv ist – vor allem in jenen Bereichen, die für Fehlerverarbeitung, Aufmerksamkeit, emotionale Bewertung, Gedächtnisbildung und das Erleben von Belohnung zuständig sind. Wenn wir uns also mit dieser inneren Haltung auf Lernprozesse einlassen, kann unser Gehirn nicht nur kurzfristig besser arbeiten – es verändert sich auch langfristig: Es entstehen neue Verbindungen zwischen Nervenzellen, bestehende Netzwerke werden gestärkt, und das Gehirn wird gewissermaßen „umgebaut“. Und das in dem Maß, in dem wir bereit sind, uns auf neue Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten einzulassen.
„Ein Growth Mindset öffnet nicht nur die Tür zu besseren Leistungen – sondern auch zu einem tieferen Vertrauen in das eigene Potenzial.“
Das Fixed Mindset hingegen – also die Überzeugung, dass Intelligenz und Fähigkeiten im Grunde feststehen – führt oft zu einer eher vermeidenden Grundhaltung. Menschen mit dieser Sichtweise erleben Fehler als Bedrohung für ihr Selbstbild. Sie meiden Herausforderungen, um nicht zu „versagen“, und geben häufig schnell auf, wenn etwas nicht gleich klappt. Schwierigkeiten werden als Zeichen mangelnder Begabung gedeutet. Diese Haltung bremst nicht nur die Lust am Lernen – sie verhindert auch, dass sich neuroplastische Prozesse überhaupt entfalten können. Denn unser Gehirn verändert sich nur durch aktive Auseinandersetzung mit Neuem – nicht durch Rückzug oder Vermeidung.
Die Forschung von Carol Dweck und ihrem Team zeigt eindrucksvoll: Menschen mit einem Growth Mindset erzielen nicht nur bessere Lernergebnisse – sie entwickeln auch langfristig mehr Lebenszufriedenheit, Belastbarkeit und Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit. Besonders ermutigend ist, dass sich ein Growth Mindset fördern lässt – etwa durch unterstützendes Feedback, reflektierende Fragen oder durch das bewusste Wahrnehmen von Lernprozessen und Fortschritten. Schon der Glaube daran, dass man sich durch Übung, Geduld und passende Strategien weiterentwickeln kann, hat nachweislich messbare Effekte – auf unsere Motivation, unser Verhalten und sogar auf die Struktur unseres Gehirns.
Wenn wir uns also selbst nicht als fertiges Produkt sehen, sondern als Menschen, die lebenslang lernen und wachsen können, schaffen wir die besten Voraussetzungen – sowohl psychologisch als auch neurologisch – für nachhaltige Entwicklung. Die Fähigkeit unseres Gehirns, sich zu verändern, kann sich dann voll entfalten, wenn wir Lernen nicht als Prüfung, sondern als Chance zur Entfaltung begreifen. Ein Growth Mindset öffnet also nicht nur die Tür zu besseren Leistungen – sondern auch zu einem tieferen Vertrauen in das eigene Potenzial. Und genau das ist ein Schlüssel für erfolgreiches Lernen im 21. Jahrhundert.
Dein Gehirn – ein Leben lang im Wandel
Die Erkenntnisse zur Neuroplastizität machen deutlich: Unser Gehirn ist kein starres Gebilde, sondern ein dynamisches, sich ständig veränderndes System. Es passt sich kontinuierlich an neue Erfahrungen, Herausforderungen und Lernreize an – und das ein Leben lang. Wir sind also keineswegs an unsere aktuellen Fähigkeiten, Denkweisen oder Gewohnheiten gebunden. Im Gegenteil: Jeder Moment birgt das Potenzial zur Veränderung und Weiterentwicklung. Ob du eine neue Sprache lernen möchtest, dich beruflich neu orientierst oder persönliche Muster hinter dir lassen willst – dein Gehirn ist bereit dafür.
Alles, was es braucht, ist deine bewusste Entscheidung, offen zu bleiben, dich Herausforderungen zu stellen und dich als lernendes Wesen zu begreifen.
Vielleicht magst du dir zum Abschluss ein paar Fragen stellen: Welche alten Überzeugungen über Lernen oder Veränderung trägst du vielleicht noch mit dir herum? Wann hast du dich das letzte Mal bewusst auf etwas Neues eingelassen – trotz Unsicherheit oder Angst zu scheitern? Wie könntest du in deinem Alltag kleine Lernimpulse einbauen, die dich langfristig weiterbringen? Und in welchen Lebensbereichen möchtest du dein Denken vom „Ich kann das (noch) nicht“ hin zum „Ich kann es lernen“ verändern? Indem du dir diese Fragen ehrlich beantwortest, legst du den Grundstein für ein bewussteres, wachstumsorientiertes Denken – und schaffst die Basis dafür, dass dein Gehirn dich auf diesem Weg optimal unterstützen kann.
In der nächsten Episode erfährst du, wie du die neu gewonnenen Erkenntnisse über Neuroplastizität konkret im Alltag anwenden kannst. Wir stellen dir praxistaugliche Methoden und einfache Übungen vor, mit denen du deine Lernfähigkeit gezielt stärken kannst – egal ob du neue berufliche Ziele verfolgst, deine Kreativität entfalten möchtest oder einfach geistig fit bleiben willst. Alles, was du brauchst, ist ein wenig Neugier und die Bereitschaft, regelmäßig kleine Schritte zu gehen.
Bis dahin: Bleib offen, neugierig und mutig – dein Gehirn freut sich schon auf die nächsten Erfahrungen!
Bis zum nächsten Mal!